Trauerwald - Leben mit meiner Trauer

Trauerwald - Leben mit meiner Trauer.

Ich bin mir im Klaren, dass nicht nur mein Umfeld, meine Familie, engste Freunde und ich Trauer erfahren werden oder erfahren haben, sondern dass bei uns allen irgendwann die Trauer unseren Lebensweg kreuzen wird. Die Trauer wird aufkreuzen, manchmal wird sie sich ankündigen, manchmal wird sie unverhofft vor der Tür stehen und uns für einen Teil unseres Lebens - manchmal bis ans Lebensende - begleiten.

Wer ist diese Trauer?

Eine dunkle Gestalt? Ein Freund oder ein Feind?

Was will sie von uns? Warum kommt diese und bleibt unterschiedlich lange?


Meine Trauer ist bildlich gesehen ein alter weiser Mann, der ungefragt erscheint, mich einfach in die dunkle Zeit meines Lebens mitnimmt und mich begleitet. Er nimmt mich mit auf eine Reise der Gefühle, sehr extremer Gefühle, die ich nicht haben möchte, aber ob ich möchte, werde ich nicht gefragt. Am Anfang hätte ich gesagt, der alte Mann ist böse, ein Feind, denn er bringt nichts Gutes mit sich. Er bringt das Gefühl, dass die Welt stehen bleiben müsste. Das Gefühl des Schmerzes, das sich kaum jemand vorstellen könnte, dieses je aushalten zu können. Dieser Schmerz tut bei jedem Atemzug weh und nimmt mir die Luft zum Atmen.


Dieser Schmerz bohrt sich so spitz wie ein scharfes Messer in mein Herz, dass ich denke, ich werde an diesen Schmerzen selbst zugrunde gehen. Der alte Mann zeigt mir genau, was ich verloren habe, was ich für immer vermissen werde.



Zwei Wege.

Ich sah zwei Wege in meinem Leben mit der Trauer und musste für mich eine Entscheidung treffen.


Entweder lasse ich den alten Mann bei mir ein und beschäftige mich mit ihm, oder ich versuche die Türe zu verbarrikadieren, so dass er draußen bleibt, mit dem Wissen, dass er nicht so einfach wieder verschwinden wird, sondern auf mich warten wird, bis ich bereit bin, mit ihm auf die Reise zu gehen, ohne zu wissen, wohin die Reise geht.


Meine Entscheidung war, den alten Mann nicht vor der Türe stehen zu lassen, mit ihm die gemeinsame Zeit zu verbringen, um zu schauen, ob es ein „neues“, ein „anderes“ Leben nach Tag X geben wird und wo er mich überall hinbringen wird.


Ich hatte Angst, furchtbare Angst, denn ich wusste nicht, auf was für eine Reise ich mich begeben werde.


Eine mir fremde und unbekannte Zeit begann.


Als erstes stellte ich fest, dass an dem Tag, an dem der alte Mann mich das erste Mal heimsuchte, eine Stille einkehrte. Keine Stille, die man gerne hat, zum Relaxen, zum Ausruhen, sondern eine Stille in meinem Leben, die nicht zu ertragen ist. Egal, was um mich herum passierte, ob der Fernseher lief, ob sich Menschen unterhielten, ich hörte nicht mehr zu, so nahm ich die Welt nicht mehr wahr, so wurde ich von meiner gewohnten Welt getrennt und lebte in der Stille. Gewohnte Stimmen, die auf einmal lachten, wurden mir fremd. Musik war nur schmerzhaft zu ertragen, denn sie könnte Erinnerungen mit sich bringen, die schmerzen würden. Also Stille.


Als zweites stellte ich fest, meine Welt verlor alle Farben. Ich nahm nur alles dunkel wahr. Wenn die Sonne schien, habe ich mich zuhause verkrochen, die Nächte, die dunkel waren, die wurden mein Begleiter. Ja, die langen Nächte, die Stille, das alles habe ich gebraucht, obwohl es mir so viel Angst bereitet hatte.


Als drittes kam der Stillstand. Meine Welt steht still. Ich frage mich, warum nur meine Welt stillsteht, warum schreie ich, haltet die Welt an, aber diese dreht sich für andere weiter? Merkt keiner, was gerade passiert ist? Merkt keiner, dass meine Welt still und dunkel geworden ist und absoluter Stillstand herrscht?


Die Reaktionen der anderen sind meistens unüberlegte Sätze, wie z.B. „Das Leben geht weiter!“. Ja, das weiß ich auch, dass es weitergeht, nur ist die Frage: WIE?

Wie geht mein Leben weiter und wer wird mich auf meinem Weg - außer der alte Mann - begleiten? Wer wird mit mir reden, mir zuhören, mit mir weinen und sich mit mir in die Dunkelheit begeben? Muss ich alleine auf diese Reise?




Die Trauer kommt.


Der alte Mann klopft an meiner Tür und ich lasse ihn herein. In seinem Gepäck hat er mir viele Dinge mitgebracht: Stille, Stillstand, Dunkelheit, Schmerz, Angst, noch mehr Schmerz, Gedanken, Fragen, Wut, Verzweiflung und er macht diesen Koffer auf.


Auf einmal, innerhalb einer Sekunde, ist dieser Koffer ausgepackt. Diese für andere Augen unsichtbare Kleidung hat er mir drübergezogen und ich ergebe mich, denn ich habe keine Kraft für diesen Kampf.


Er nimmt mich mitten in der Nacht mit auf einen Spaziergang durch einen alten Wald.


Ich habe Angst, weil ich nicht weiß, was mich erwartet, ich kenne nicht einmal im Hellen diesen Wald, wie soll ich mich da im Dunklen zurecht finden?

Auf dem ersten Stück des Weges zeigt er mir mein altes Leben.


In dem ich mit meinen Liebsten gelacht und geweint habe. Er zeigt mir die Liebe, und ich spüre diese und es schmerzt so sehr, dass es ab jetzt nur eine Erinnerung sein soll. Ich knie nieder und fange an, so laut ich kann zu schreien, aber es ist keiner da, der meine Schreie hört. Keiner hört diese Schreie, denn im wahren Leben schweige ich.


Die Nacht, die eingebrochen ist, ist so dunkel, nicht einmal der Mond, nicht einmal die Sterne scheinen.


Ich versuche zu verstehen, was passiert ist, aber es ist so unwahr. Es kann nicht wahr sein, dass das Liebste, was ich auf dieser Welt hatte, nicht mehr da sein soll. Keine Umarmung, kein Wort, keine Stimme, sich nie wieder sehen. Es bringt mich fast um.




Auf dem ersten Stück des Weges bleibe ich auf einer Holzbank sitzen, nehme nicht viel wahr, was um mich passiert, denn ich bin so mit mir selbst beschäftigt. Mein ganzer Körper schmerzt, jedes Wort des Trostes der anderen ist zu viel! Wie könnt ihr wissen, wie ich mich fühle, wie könnt ihr mich verstehen, wenn ihr es gerade nicht selbst durchlebt?

Seid still, denke ich mir, nehmt mich einfach in den Arm, besser als ein falscher Satz. Oft ist jeder Satz zu viel.


Versprecht mir nicht, dass ihr immer für mich da sein werdet, denn das kann kein Mensch, nicht einmal ich kann es einhalten.

Sagt lieber: "Wenn es meine Zeit zulässt, werde ich versuchen, für Dich da zu sein".


Sagt nicht: „Ruf´ uns an, wenn Du was/uns brauchst!“, denn ich werde euch nie anrufen.

Ruft mich an, aber vermeidet die Frage „Wie geht es Dir?“, wenn ihr nicht in der Lage seid, die wahre Antwort zu ertragen und hören.


Ich sitze auf der Bank und denke, es ist nicht wahr. Er ist nicht gestorben, es ist ein Irrtum. Er wird wiederkommen, er wird mich nicht alleine lassen. Das würde er nie, er liebt mich doch über alles. Ich warte und warte, aber er kommt nicht zurück.


Dann gehe ich in meiner Dunkelheit weiter und stehe vor deinem Sarg.

Ich sehe diesen und mir wird bewusst, dass dein Körper dort liegt. Ich möchte Dich noch einmal sehen, noch einmal berühren und versuchen, Abschied zu nehmen, Abschied für immer??? Es zerreißt mir mein Herz, denn der Abschied ist so endgültig.


Ich stehe vor dem offenen Grab und sehe deinen Sarg in der Erde liegen, ich möchte schreien, aber ich bleibe wieder stumm. Nur innerlich schreie ich lauf auf. Ich würde Dich sofort da rausholen, aber denke in dem Moment, es ist nur Dein Körper und stelle mir vor, Du sitzt auf einer Wolke, das macht es erträglich für mich.


Auf dem Weg durch den dunklen Wald muss ich versuchen, alleine weiter zu gehen, denn nur ich kann diesen durchqueren.


Es werden sich Menschen zu mir auf die Bank setzen und neben mir sitzen bleiben. Es werden mir Menschen begegnen, die mich ein Stück des Weges oder den ganzen Weg begleiten werden, das werden sie aber selbst entscheiden, wie viel Schmerz, Traurigkeit sie ertragen können. Manche setzen sich zu mir, nur ein einziges Mal, manche werden immer wieder zurückkehren und auch auf mich ein bisschen achten.




Weihnachten.

Auf meinem Weg, der schon einige Tage, Wochen dauert, kommen die ersten Weihnachten.


Diese sind sehr düster, diese Schmerzen, denn Du bist bei dem Fest der Liebe und der Familie nicht dabei. Alles was mir bleibt, ist dein Grab, wo ich alleine sein kann und meine Tränen um Dich vergießen kann, ohne mich verstellen zu müssen. Da frage ich mich, wird der Schmerz je besser werden? Wird es je aufhören?


Ich plane die Feiertage nicht, ich ertrage diese und bin froh, wenn sie vorüber sind. „Frohe Weihnachten“ höre ich überall und innerlich denke ich mir, was kann an diesen Tagen froh sein ohne Dich?


Ich erwische mich immer wieder dabei, dass ich auf Dich warte.


Immer wieder stelle ich mir vor, wie es sei, wenn Du jetzt nach Hause kommen würdest, aber tief in mir weiß ich, dass es nur ein Wunschdenken von mir ist. Ich hatte so Angst vor den ersten Weihnachten ohne Dich, dass ich statt des Schmerzes mehr Angst verspürt habe. Auf der Bank im Wald bleibe ich an Weihnachten einsam, trotz Menschen um mich herum.




Frühling.

Langsam wird es Frühling, aber ich möchte diese Jahreszeit wieder überspringen, oder dass es für immer kalt und winterlich bleibt, dunkel, schwarz, traurig. Ich kann aber die Welt nicht anhalten und die Vögel beginnen zu singen, die Natur erwacht zum Leben, aber ich lebe innerlich nicht. Ich nehme die Farben immer noch nicht wahr, es ist alles so sinnlos und schwarz.


Das ist der zweite Teil meines Weges, mich mit mir und dem Schmerz auseinanderzusetzen, die Wucht des Schmerzes auszuhalten und zu kämpfen,um nicht unterzugehen. Ich weine um Dich, ich vergieße so viele Tränen um Dich, dass ich leer geweint sein müsste, aber es kommen immer neue Tränen nach. In den Nächten begebe ich mich immer wieder in den dunklen Wald, denn dort bin ich nur mit den unsichtbaren Klamotten der Trauer unterwegs.


Was ich meinem Körper zumute, ist nicht gesund, denn ich rauche eine Zigarette nach der anderen, das ist mein Frühstück. Mittagsessen und Abendbrot zugleich. Ich achte nicht auf mein Aussehen, ist mir egal, was die anderen denken.


Sätze wie: „Das hätte er aber nicht gewollt, Du muss weiter leben!“, prallen an mir ab. Ich weiß, dass er es nicht gewollt hätte, aber Gefühle, Trauer kann ich nicht steuern. Es gibt kein Richtig oder kein Falsch. Er wollte auch nicht gehen, aber er musste. So möchte ich weiterleben, aber ich kann es im Moment noch nicht.


Mein Geburtstag naht, aber ich mache dieses Jahr meine Telefone aus, ich möchte keine Glückwünsche, denn ich habe nur einen Wunsch auf dieser Welt, Dich zurück zu haben. Aber es bleibt ein Wunsch.


Ostern fällt genauso aus wie der Geburtstag. Dein Geburtstag wird „gefeiert“ mit einem Gang zum Grab, Kerzenmeer und zuhause dein Lieblingsessen, was ich eigentlich für Dich gekocht habe, aber ich lasse es nicht stehen, ich esse ein bisschen und stelle mir vor, Du wärst jetzt bei mir.




Sommer.

Langsam kommt der Sommer, aber ich bin schon in Gedanken im Herbst, als Du gegangen bist. Ich zähle die Tage, ich lebe in Erinnerungen des letzten Jahres, als unsere Welt noch eine gemeinsame gewesen ist. Ich gehe jeden Tag in Gedanken durch, jede Minute und jede Sekunde und es schmerzt, denn ich weiß, ich werde Dich verlieren, und so erlebe ich den Verlust das zweite Mal.


An dem Tag, als Du fortgegangen bist, stehe ich an deinem Grab, zünde viele Kerzen an, damit Du vielleicht siehst, wo ich gerade stehe und weine um Dich. Genau vor einem Jahr hast Du mich alleine zurückgelassen! Und dann fange ich zu weinen an. Nein, Du hast mich nicht zurückgelassen, Du hattest keine Wahl, denn Du würdest mich nie verlassen, Du hast mich doch so sehr geliebt.


Nach dem ersten Jahr habe ich keine Angst mehr vor Weihnachten, denn ich weiß, wie es ist, ohne Dich zu sein. Ich spüre nur den Schmerz, der noch mehr von mir wahrgenommen wird, als ein Jahr zuvor, weil die Angst weg ist.


Ich liebe Dich immer noch, ja, die Liebe zu Dir ist nicht weg.


Wie soll ich denn im Leben weitergehen, mit so viel Liebe zu Dir in mir?


Ich spaziere langsam durch den Wald, noch in der Dunkelheit, und meine Trauerhülle, meine seit über einem Jahr getragene Kleidung schmiegt sich weiter um meinen Körper und scheint mich nicht verlassen zu wollen. Bleibt meine Welt für immer schwarz?




Ein Jahr mit der Trauer.

Dann kommen die ersten Zeichen, die ich übersehen habe in der Dunkelheit.


Ich sitze im Wald auf der Holzbank und langsam wacht der Tag auf.


Ich sehe eine Lichtung und laufe neugierig auf diese zu. Ich sehe die Sonne, aber traue mich nicht, weiter zu gehen, denn im dunklen Wald fühle ich mich sicher.


Wenn es nicht weitergeht, betäube ich meinen Schmerz mit Alkohol, aber es hilft mir nur kurze Zeit, denn der Schmerz kommt wieder. Ich traue mich nach langem Hin und Her, doch kurz in die Sonne zu gehen, und die Sonne, die Farben brennen mir in den Augen, so dass ich wieder in den Wald der Trauer verschwinde.


Ich setze mich auf die Bank und fange an, mich mit dem alten Mann zu unterhalten.


„Wieso bist Du zu mir gekommen?“, frage ich energisch und er versucht, mir dies zu erklären. „Ich weiß, dass ich nicht erwünscht bin, dass Menschen Angst vor mir haben, weil sie nur Schmerzen durch mich fühlen, dabei möchte ich Dir das Leben wieder zeigen!“.


Er nimmt meine Hand und sagt zu mir: „Vertraue mir und komm mit mir!“.


Auf der Waldlichtung liegt eine Picknickdecke, die Sonne scheint, brennt aber nicht. Er fordert mich auf, mich auf diese hinzulegen und meine Augen zu schließen. Ich folge der Stimme und lasse mich darauf ein.


Ich schließe meine Augen und höre die Frage: „Was spürst Du?“.


Ich überlege einen Moment, was ich am besten antworten sollte, aber dies verwerfe ich wieder und fange an zu fühlen und zu spüren, was wirklich da ist.


"Als erstes spüre ich die Wärme der Frühlingssonne, die mich umarmt."


„Was fühlst Du?“, höre ich eine leise Stimme, die mir so vertraut vorkommt.


„Ich fühle Schmerzen, unerträgliche Schmerzen!“.


„Warum tut es so weh?“, hakt er sofort nach.


„Weil ich auch die Liebe in mir fühle! Die trage ich tief in meinem Herzen! Und die Sehnsucht tut so sehr weh!“.


Dabei stelle ich fest, dass die Liebe da ist, sie verbindet uns weiterhin, denn er hat mich über alles geliebt.


In dem Moment fühle ich mich das erste Mal wirklich geborgen, so dass ich den Moment in mir aufsauge, wie eine Pflanze, die nach einem Winterschlaf wieder zum Leben erwacht. Die Liebe in mir übertönt das erste Mal diesen unerträglichen Schmerz.


Ich fange an, mit Dir direkt zu reden, beachte den alten Mann nicht.


Ich rede mit Dir, wie so oft in den Tagen, als Du gegangen bist. Ich frage Dich, wo Du jetzt bist? Ob es Dir gut geht, da, wo Du jetzt bist? Ich warte doch auf ein Zeichen von Dir, dabei habe ich schon so viele erhalten, habe es aber abgetan, dass es nicht sein kann.


In Träumen bist Du oft dagewesen, warst nicht mehr krank und zerbrechlich.


Bei dem Autounfall warst Du mein Schutzengel. Du warst immer da, Du bist nie weggewesen.


Ich liege noch in der Sonne und träume vor mich hin. Höre Deine Stimme und Dein Lachen.


Es tut zwar weh, zu wissen, dass es nicht wiederkommen wird, aber ich sollte dankbar sein, die Zeit mit Dir erlebt zu haben.


Die Zeit war kurz, viel zu kurz, aber wir konnten es uns nicht aussuchen.


Ich beginne zu begreifen, dass Deine Liebe, die Liebe in mir, uns immer verbinden wird. Ich beginne zu begreifen, dass Du mich weiter durchs Leben begleiten wirst, auf eine andere Art und Weise. Ich beginne vor allem an zu begreifen, dass ich weiter leben möchte und auch weiterleben muss, denn meine Zeit ist noch nicht gekommen.

Weiterleben.


Es ist meine Entscheidung weiterzumachen, und ich finde sehr schnell die Gründe dafür!


Du hast Dein Leben gerne gelebt, Du hast jede Minute für mich weitergekämpft und ich war so oft kurz davor, mein Leben einfach so wegzuschmeißen. Warum? Weil ich bei Dir sein wollte!


Aber was ist mit den Menschen, die auch hier auf dieser Welt bleiben müssen? Was ist mit ihnen, wenn ich weggehe?

Dann werde ich sie mit vollem Bewusstsein verlassen und den alten Mann an ihre Türe anklopfen lassen.


Ich lebe in erster Linie für mich, aber ich bin mir bewusst, dass auch ich den Menschen um mich herum Schmerzen bereiten würde.


Oft habe ich mich selbst belogen und gesagt, es wird mich kein Mensch vermissen, aber das stimmt nicht. Es wird immer einen Menschen geben, der zurückbleibt, und dann um mich trauern würde. Es ist keine Lösung, aufzugeben, sondern auch wenn die Kraft oft fehlt, weiterzumachen.


Ich liege auf der Wiese und mache die Augen auf, setze mich hin und schaue um mich herum. Ich rieche das Gras, ich sehe die Rehe auf der Wiese grasen. Ich sehe die wunderschönen Blumen, mit all ihren schönen Farben um mich herum, und ich höre die Vögel singen.


Ich richte mich auf und höre den alten Mann sagen: „Leb´ wohl, vielleicht Auf Wiedersehen? Ich weiß es nicht. Ich habe Dich durch die dunkle Zeit Deines Lebens begleitet und es ist jetzt deine Entscheidung, die Kleidung abzulegen und durch die Wiesen zu laufen, oder wieder zurück in den dunklen Wald zu kehren! Bedenke, es wird immer wieder eine Zeit geben, in der Du Dich in den Wald auf die Bank zurückziehst, wo es schwer sein wird, aber ich werde dann nicht wiederkommen!


Ich komme nur wieder, wenn ein Mensch geht und Du mich wieder brauchen wirst!“.




Er geht und lässt mich zurück.


Ich fange an, durch die Wiesen zu laufen und sauge die Farben in mich ein. Die Sonne tut mir gut, sie wärmt mich nicht nur von außen, sondern auch von innen.


An manchen Tagen kehre ich in den dunklen Wald zurück, setzte mich auf die Bank und denke viel nach.


Über die Zeit mit Dir, die Zeit, die seit Tag X vergangen ist. Der dunkle Wald ist nicht mehr so schmerzhaft und bedrohlich, denn der Mond und die Sterne erleuchten mir den Weg.


Jedes Mal, wenn ich dann den Wald verlasse, dann gehe ich in die Richtung des Lichts, das am Ende des Weges immer erscheint. Ich habe keine Angst mehr vor der Dunkelheit, ich erfreue mich am Licht.


Das Leben hat mich gelehrt, dass es immer wieder Abschiede geben wird, dass es immer wieder Zeit der Trauer, aber auch eine Zeit mit der Trauer geben wird. Dass es nach gewisser Zeit erträglicher wird, dass ich wieder lachen darf.


Vor allem habe ich gelernt, Deinen Namen zu nennen, und nicht nur in der Vergangenheit von Dir zu sprechen, sondern in der Gegenwart und Zukunft.


Ich habe gelernt, dass nur Menschen, die mit mir in den dunklen Wald gegangen sind, Menschen sind, denen ich wirklich was bedeute und auf die ich mich verlassen kann.


Aber auch habe ich gelernt, dass es Menschen gibt, die vor dem dunklen Wald selbst solche Angst haben, dass sie davor stehenbleiben und warten, bis ich da wieder rauskomme. Sie sind aufrichtig und geben es zu, dass sie nicht in der Lage waren, sich in diesen Wald zu trauen. Ehrlichkeit ist das Wichtigste. Oft fühlte ich mich verlassen, aber die Menschen dachten oft an mich, aber fanden keine richtigen Worte und nicht den Weg zu mir.


So oft ich das Bedürfnis habe, darf ich in diesen Wald, den ich mittlerweile kenne. Der mir immer noch Angst einjagt, wenn ich einen neuen Teil dieses Waldes erkunden muss, aber dann ist der alte Mann da, der mir den Weg zeigt, mit mir auf der Bank sitzt und mich durch die schwere Zeit begleitet.


Trauer ist nicht mein Feind, Trauer ist nicht böse, Trauer ist das Gefühl der Liebe und Sehnsucht. Trauer tut weh, aber ohne Trauer würden wir nicht lebendig sein, wenn wir für immer gar nichts fühlen würden, wäre es kein Leben.




Jeder von uns geht mit seiner Trauer auf seine Art und Weise um. Was dem Einen hilft, kann/muss aber dem Anderen nicht behilflich sein. Es ist aber wichtig, wenn ich einen Weg für mich gefunden habe, mit meiner Trauer zu leben, dies auch mit anderen Menschen zu teilen. Denn jeder von uns braucht die Hoffnung, dass es eines Tages besser wird.


Ich weiß, dass es nie so sein wird, wie bevor ich das erste Mal in den dunklen Wald gegangen bin. Aber im Leben gibt es nicht nur schwarz und weiß, es gibt auch so viele andere Farben.


Ich nehme mir für meine Trauer und für den alten Mann sehr viel Zeit, um zu verstehen, was passiert ist. Um zu verstehen, woher meine Gefühle kommen, und vor allem zu akzeptieren, dass meine Gefühle und Gedanken ihre Berechtigung haben.


Ich sage nicht, dass Du in meinem Herzen weiterlebst, ich weiß aber, dass Du in meinem Herzen für immer einen Platz gefunden hast, und ich finde immer wieder neue Wege, um Dir nah zu sein.


Und wenn die Sonne meinen Körper erwärmt, so stelle ich mir vor, dass die Sonne mich umarmt, dass Du mich umarmst und mir ins Ohr flüsterst: „Ich liebe Dich! Ich bin noch da! Du kannst mich nicht sehen, Du kannst mich nicht berühren, aber ich umarme Dich jedes Mal, wenn Du mich brauchst und an mich denkst….“.




Anmerkung der Redaktion: © Marek Jan Spyrka, geschrieben am 07.12.2016. Die Nutzung ist nur für den privaten persönlichen Gebrauch gestattet. Jede darüber hinausgehende Nutzung, insbesondere die private und gewerbliche Vervielfältigung, Änderung, Verbreitung egal in welcher Form oder Speicherung von Texten bzw. Textteilen, bedarf der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Betreibers von https://www.meinetrauer.de . Das Urheberrecht verbleibt beim Verfasser des Textes.

Kommentare 3