Beiträge von Asami

    Heute kommt die Trauer um dich, liebe Mama, ganz besonders durch. Du bist am 5. September letzten Jahres verstorben und ich konnte es kaum fassen. Die erste Zeit war ich erleichtert, denn dich zu pflegen war oft anstrengend und so musst du auch nicht mehr leiden. Im zweiten Coronawinter war ich froh, dass du tot warst, weil ich wusste, dass du so erlöst bist. Du hattest solche Angst vor Corona. Der Ukrainekrieg hätte dich auch sehr unglücklich gemacht und ich bin so froh, dass du das nicht mehr erleben musst. Ich hielt die meisten Dinge schon für überstanden, aber dann kam sie erst. Die Angst. So viel Angst. Und jetzt wird mir erst wirklich klar, dass sie Teil der Trauer ist. Ich fühle mich so mutterseelenalleine ohne dich, meine geliebte Mama. Und ohne die Omas und Opas. Meine Freundin sagt, ich solle mich ablenken, mir keine Sorgen machen, aber das ist nicht so einfach. Seit 1-2 Monaten kommt die Trauer erst wirklich durch und wie sie sich Bahn bricht in mir? Ich fühle mich, als sei ein Teil von mir gestorben. Als sei die alte Asami tot und mit ihr alle diese Erinnerungen an schöne Tage. Was habe ich nun noch? Ja, für die Zukunft bin ich materiell abgesichert, aber um den Preis, dass innerhalb von 2 Jahren zwei Opas und du gestorben sind und Papa nicht mehr mit mir spricht.

    Ich habe mich entschlossen, nächste Woche meine Masterarbeit endlich abzugeben. Damit endet eine Phase, die fast so alt ist wie unsere gemeinsam intensivste Zeit. Durch dick und dünn sind wir zusammen gegangen, durch Depressionen und Ängste, durch Burnout und Krebs, bis du schließlich dem Krebs erlagest. Vielleicht schaust du vom Himmel zu, wie ich in den nächsten eineinhalb Jahren endlich mein Studium beenden werde. Mit der Masterarbeit kommt für mich eine Zäsur. Ich habe bereits nach den Sternen gegriffen und sie in der Hand gehalten. Mein eines Paper wurde publiziert, ein anderes ist auch draußen. Das Periodensystem habe ich nach über 10 Jahren endlich verstanden und damit ist mein Lebensziel durch. Endlich die Chemie verstehen. Ich habe an Startups mitgearbeitet und mit Politikern gesprochen, war beim Expertenausschuss dabei und publiziere zu einigen der fortschrittlichsten wissenschaftlichen Themen der Welt. Aber was nutzt mir alle Naturwissenschaft? Die Physik hat ihren Glanz für mich verloren, mit Quanten bin ich erstmal durch und von Informatik habe ich die Nase derzeit gestrichen voll. Ich habe erreicht was ich wollte. Ich bin 29 Jahre alt, bin finanziell einigermaßen unabhängig, habe glänzende Berufsaussichten und kann eigentlich machen, was ich will. Und nebenbei habe ich fast meine ganze Familie zu Grabe getragen, zuletzt dich. Ich weiß, dass ich meinen Weg auch wieder finden werde und ohne dich weiterleben kann. Aber diese Zukunft scheint so weit entfernt.

    Ein Teil von mir zieht mich immer wieder in die Natur, in die blühenden Wälder unter strahlender Sonne. Es ist Juni und die Welt scheint doch so klein.

    Physik hat mich immer getröstet, aber mir fehlt momentan einfach der Fokus. Ein Teil von mir zieht mich zur Biophysik, zur Moleküldynamik, zu Computersimulationen, die Heilung bringen können, zu meiner geliebten alten Chemie, die ich zu früh aufgeben musste und vielleicht kann das meine Zukunft werden.

    Der Welt muss ich nichts mehr beweisen. Irgendwie habe ich jetzt Lust, mich in den nächsten Wochen bei Aldi an die Kasse zu setzen und Quantenphysik einfach Quantenphysik sein zu lassen. Dich auf dem Friedhof zu besuchen, inmitten der blühenden Blätter und der Natur um uns herum. Und zu beten, dass wir uns irgendwann wiedersehen, in einem anderen Leben. In den nächsten Monaten kann ich dann peu à peu mich durch die ganzen Sachen suchen, durch alte Fotoalben und Familienchroniken, durch Opas alten Hausrat und all die Dinge von dir. Durch Erinnerungen nicht nur an ein Leben, sondern an viele, so undenkbar viele. All diese Leben vereinigen sich in mir und sie enden bei mir. Dieser Familienstammbaum endet bei mir. Ich bin die Letzte, die noch da ist. Ein Einzelkind in einer Familie von Einzelkindern. Das Ende all dieser Geschichten. Und für mich irgendwo ein Anfang. Ein unbeschriebenes Blatt.

    Liebe Mama,


    du fehlst mir jetzt schon. Ich habe gerade meinen Adventskranz angezündet und denke an dich. In der Tat vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an dich denke. Mit dir stirbt der letzte Teil meiner Familie und du fehlst mir furchtbar. Du hast tapfer gegen den Krebs gekämpft - 4 Jahre lang - und ich bin dankbar, dass uns vier wunderbare Jahre zusammen verblieben sind. Ich finde es schade, dass du nicht mehr erlebst, wie ich mein Studium beende, aber auf der anderen Seite bin ich auch froh, dass du endlich erlöst bist. Auch bin ich heilfroh, dass du den zweiten Coronawinter nicht mehr miterleben musst. Ich erinnere mich, welche Angst du vor der Krankheit hattest und ich bin froh, dass du diese nicht mehr haben musst. Ich bin dankbar, dass du endlich von deinen Schmerzen erlöst wurdest und deine irdische Hülle verlassen konntest. Ich wünsche mir nur, dass wir uns eines Tages wiedersehen. :trauerkerze_40: