Viel zu viel

  • Ich habe keine Ahnung, wie ich am besten anfangen soll. Denn ich habe bisher noch nie online irgendwie darüber geredet, aber zurzeit ist alles bei mir ziemlich seltsam...


    Als ich 12 Jahre alt war, habe ich meine Großtante, die wie ne richtige Tante für mich war, verloren. Ein Monat später meine Lieblingsoma und passend, weil alle guten Dinge ja drei sind, meinen Onkel (halbes Jahr darauf). Alle drei waren ziemlich unerwartet.


    Und natürlich war das nicht genug. Daraufhin folgte meine Tante 2019, die mir wahnsinnig wichtig war. Sie musste ins Hospiz und war dort auch für mehrere Monate. Ein Besuch war zu viel für mich. Sie sah weder nach ihr aus, noch konnte ich mir vorstellen, dass ausgerechnet sie so schnell von uns gehen würde. Wir hatten geplant, zusammen auf meiner Abifeier zu sein, aber sie ist ausgerechnet 1 Jahr vor meinem Abschluss gestorben und trotz Vorbereitung war es ein Schlag ins Gesicht für mich.


    Ich bin nicht mal volljährig gewesen und habe schon 4 enge Familienmitglieder verloren, die mir sehr viel bedeutet haben. Alles auf einer Familienseite wohl bemerkt.


    Leider war das noch nicht alles: meine eine Katze (2020), die meine gesamte Schulzeit an meiner Seite war ab der Einschulung bis zum Beginn der Ausbildung. Und dann folgte noch der Mann meiner Großcousine (dieses Jahr), die ebenfalls wie ne Tante für mich ist.


    Das allerschlimmste ist jetzt aber: meine Katze (vor 1 Monat). Manche meinen jetzt vielleicht, wie kann eine Katze schlimmer als ein enges Familienmitglied sein?

    Naja. Wenn man mit der Katze zusammen aufgewachsen ist. Sein ganzes Leben lang mit ihr verbracht hat. Keine Geschwister hat und sie immer vor anderen als "kleine Schwester" bezeichnet hat.


    Ich bin erst 19, aber habe schon 7 Beerdigungen hinter mir (Katzen eingeschlossen) und ich halte es nicht länger aus.


    Dauernd höre ich dann diese ganzen Sprüche: "Das Leben geht weiter." oder "Die Trauer darf nicht dein Leben bestimmen." oder "Trauern ist in Ordnung. Jeder braucht seine Zeit und das ist gut so. Aber man muss irgendwann nach vorne sehen."

    Bester Spruch überhaupt: "So ist das Leben."


    Es nervt. Es nervt gewaltig.


    Ich liebe mein Leben und ich genieße es.


    Nur ab und zu überkommt es mich, weil mir bewusst wird, dass ich noch viele Jahre vor mir habe und noch mehr Menschen gehen sehen werde. Ich weiß, dass ich das vielleicht zu dramatisch sehe, aber die verdammte Tatsache: die meisten, die ich kenne, werden in 10 Jahren nicht mehr sein...wunderbare Vorstellung.


    All dieser Scheiß löst in mir aktuell eine extrem miese Stimmung aus, ausgelöst durch zwei kleine Katzen, die neuen Wind bei uns Zuhause bringen sollen und nach nur DREI Tagen kamen.


    Das Thema ist bereits abgeharkt Zuhause und wir sind keine Menschen, die Tiere wieder abgeben. Zwangsläufig muss ich mich mit denen anfreunden. Sie können nichts dafür, sie sollen die andere Katze nicht ersetzen, etc.

    Alles bereits Dinge, die mich einfach nur annerven, wenn ich das zuhören kriege.


    Aber das ich nicht damit klar komme, ist absolut null relevant.


    Da es ja so schön heißt: Mach nen Harken dran. Das Leben geht weiter. Die zwei Neuen bringen wieder Leben in die Bude.


    So. Jetzt habe ich vielzu viel geschrieben. Sorry für diese ausschweifende Geschichte.


    Aber ich musste einfach mal alles los werden.


    Danke dafür.

    S.L.

  • Liebe/r S.L.,


    Du hast schon Recht: dafür, dass Du noch so jung bist, hast Du schon sehr viel Trauer erlebt. Das tut mir wirklich sehr leid, das Leben kann so unfair sein!
    Ich vergleiche das etwas mit der Situation meiner Tochter, die mit 11 Jahren innerhalb von 8 Monaten ihren Opa und dann den Papa verlor und jetzt auch vor der Katzensituation steht... Und mit jedem neuen Todesfall kommen die Erinnerungen an vorhergegangene wieder hoch und verschlimmern alles wieder.


    Und selbstverständlich trauern wir auch um unsere vierbeinigen Familienmitglieder. Um mein kleines schwarzes Teufelchen (Katze), das mich gut 18 Jahre tagtäglich begleitet hat, habe ich bestimmt mehr getrauert, als um entfernte Verwandte, die ich nur alle paar Jahre mal gesehen habe.
    Die Vorstellung, dass unsere letzte Katze, die jetzt 19 geworden ist, auch bald gehen muss, ängstigt mich total. Sie ist mit meiner Tochter (25) so ein Team, wie Du mit Deiner warst.


    Mir fällt es auch immer schwer zu sehen, wie schnell manche Menschen ihre gestorbenen Tiere wieder ersetzen. In einem Fall war der Hund noch nicht beerdigt, da schauten sie schon nach einem anderen. Das ist mir auch völlig fremd.

    Aber sicher hat Deine Familie es "nur gut gemeint" mit den neuen Kätzchen. Sie sollen Ablenkung bringen. Während wir unsere Liebsten noch nicht vergessen möchten, wollen andere vielleicht so schnell wie möglich nicht mehr an den Schmerz erinnert werden.


    Diese Standardsprüche "Das Leben geht weiter" (ja, aber ein anderes), "Die Trauer darf nicht dein Leben bestimmen" (das tut sie aber einfach!) usw. kennen wir hier alle. Das sind diese Binsenweisheiten, an die nur Leute glauben können, die es noch nicht selbst richtig gefühlt haben. Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts der Trauer anderer.


    Du musstest - obwohl Du noch so jung bist - diesbezüglich zu schnell erwachsen werden.
    Offensichtlich bist Du ja auch mit der Verantwortung für Tiere aufgewachsen, so dass Du Dein Unverständnis für Deine Familie nicht auf die neuen Kätzchen übertragen wirst. Und natürlich werden sie auch Dich ablenken. Du wirst über sie lachen und mit ihnen spielen. Immer mit Deiner vierbeinigen "Schwester" im Herzen. Es ist kein Verrat an ihr, wenn Du irgendwann auch die Kleinen lieb hast. Ich wünsche Dir viel Kraft!

  • Auch meine Tochter hat mit 20 Jahren ihren Papa verloren, und nur 5 Monate später ihre Katze, mit der sie seit ihrem 5. Lebensjahr verbunden war. Die Katze war auch wie ein Geschwisterchen für sie, und immer zum Kuscheln bereit, wenn sie gebraucht wurde. Die Katze war 15 Jahre alt und wurde vor unserem Haus überfahren. Ein weiterer Schock für meine Tochter. Weitere 5 Monate später musste ihre Lieblingsoma, meine Mama, sterben....Ich frage mich oft, woher sie die Kraft nimmt, alles so gut zu verarbeiten....Meine Tochter wünscht sich auf wieder ein kleines Kätzchen...zum Kuscheln..

  • Hallo S L.!

    Mein aufrichtiges Mitgefühl dafür, dass Du schon so viele Verluste erlitten hast. Das tut mir sehr leid für Dich.

    Der Verlust einer lieben Katze kann sehr sehr weh tun! Und auch da ist Deine Trauer gerechtfertigt. Ich weiß von was ich spreche. Mein geliebter Kater war 16 als er verstarb und es war eine Liebe, die ich so nicht mehr haben werde.

    Auch ich habe erlebt, dass man mir nach vier Todesfällen innerhalb eines halben Jahres zwei Monate später sagte, nun sei ja mal Schluss mit Trauer - oder als meine Mutter starb, dass man mir dann versucht hat, mir meine Gefühle abzusprechen. Von diesen Menschen habe ich mich dann distanziert und ich bin der Meinung, wenn man sich nicht distanzieren kann, sollte man dieses Thema dann mit diesen Menschen einfach meiden denn es tut einem einfach nicht gut. Trotzdem möchte ich Dir Mut machen. irgendwann - ich betone - irgendwann wirst Du an kleinen Dingen Freude haben, trotz allem oder vielleicht gerade deshalb.

    Ich wünsche Dir ganz ganz viel Kraft und dass Du etwas zur Ruhe kommst. Schön, dass Du hier etwas gefunden hast,wo Du Dir endlich mal etwas von der Seele schreiben konntest.

    Ich grüße Dich herzlich und wünsche Dir alles Gute.

    Jannie :trost01:

  • Hello again...

    Es ist stets seltsam für mich, dass ich online mich besser auskotzen kann als bei Freunden oder Familie. Einfach weil das das Verständnis fehlt.


    Es sind jetzt 2 Jahre vergangen und alles ist beim alten geblieben, obwohl nicht ganz.


    Als wäre es nicht genug, sind in den letzten vergangenen zwei Jahren nochmals Menschen in meinem Umkreis verstorben. Meine zwei Opas. Der Eine weniger tragisch, da ich kaum Bezug hatte zu ihm. Aber beim anderen war es schon wirklich scheiße. Klar, mit fast 88 war es abzusehen.


    Nun, wo ich ausgezogen bin, merke ich erst, wie meine großen, seit Jahren bestehenden Mauern, langsam einstürzen.


    Zuhören bekommen, dass man eiskalt ist und dass eine Depression nichts besonderes heutzutage sei, sind so Dinge, die einem schon Gedanken machen.


    Allerdings ist es für mich aktuell extrem schwierig, meine Gefühle einzuschätzen.

    Nun kann ich endlich den Abstand gewinnen, den ich brauche und fühle mich sonderbar.

    Immerhin habe ich immer häufiger das unerklärliche Bedürfnis zu weinen.

    Und ich muss dazu erwähnen, dass ich so gut wie nie weinen muss. Selten auch bei traurigen Filmen, einfach weil ich nicht so schnell emotional werden kann.


    Ich hoffe, dass ich endlich trauern kann. Nur fühle ich mich so unglaublich fertig mit allem.

    Wenn einem sogar der Gedanke gefällt, im Krankenhaus zu landen, nur um Ruhe zu haben vor allem - weiß selbst ich, kann nicht alles gut sein.


    Insbesondere wenn der eigene Vater kein Verständnis für die obige Katzensituation hat und einem selbst prof. Hilfe empfiehlt.

    Ein Probetermin habe ich gemacht und selbst dort vor einem Fremden nach nur 20 Min. weinen müssen. Das ist für mich keineswegs normal.


    Mein Problem ist nur, dass ich mich nicht ermutigen kann, zum Therapeuten zu gehen. Den wirklichen Grund kenne ich selbst nicht. Ich kann es wohl nur als unsichtbare Barriere definieren.

    Vor wenigen Tagen hatte ich urplötzlich das dringende Bedürfnis zu heulen.


    Ich komme derzeitig damit nicht klar und auch mit dem Umzug, dem offiziellen Ende meiner Kindheit, wo meine Eltern (wie bei meiner Katze) nicht lange gefackelt haben, viel zu verändern.

    Ich hasse Veränderungen, egal ob sie auch positiv sind, einfach weil ich damit nie gut umgehen kann und es mich daran erinnert, was man dadurch verliert.


    Die Suche nach prof. Hilfe habe ich nicht ganz aufgegeben, dennoch hindert innerlich etwas in mir, dass ich das mache. Und was erschwerend wohl hinzukommt, dass ich denke, dadurch keine anständige Beziehung zustande zu kriegen, weil ich so distanziert in mich gekehrt bin, dass ich wie ein gefühlsloser Eisklotz wirke. Obwohl ja das absolute Gegenteil der Fall ist.


    Naja. Viel geschrieben und vieles offenbart, was kein Nahestehender wohl je ernsthaft verstehen würde.


    Wer bis hierhin ernsthaft alles gelesen hat: Wow und Danke. :)


    Liebe Grüße

    S.L.

  • Hallo S.L.,


    ja, ich habe alles gelesen, aber es war ja nicht so viel. Vom Text her. Der Inhalt allerdings ist sehr viel. Erst mal tut es mir leid, dass du so viele Verluste hinnehmen musstest. Das ist Wahnsinn in diesen erst wenigen Jahren. Und ich verstehe es vollkommen, dass dir der Verlust deiner Katzen-Schwester am meisten weh tut. Sie war immer um dich und ein direktes Familienmitglied. Es ist schade, dass deine Eltern sich so wenig in dich einfühlen können. Vielleicht liegt es daran, dass sie selbst mit ihrer eigenen Trauer überfordert sind. Sie haben ja die selben Personen und Tiere verloren. Jede/r geht mit Trauer anders um. Und viele Erwachsene verstehen nicht was in solcher Situation in ihrem Kind vorgeht. Trotzdem bzw gerade deshalb hätten sie zuhören müssen.


    Der Tipp dir professionelle Hilfe zu suchen ist bestimmt nicht der schlechteste. Es hört sich für mich so an als hätte sich deine Seele eine Schutzschicht zugelegt, um durch die vielen Verluste nicht zu zerbrechen. Das ist ganz normal. Und diese Schutzschicht lässt dich auf andere vielleicht kühl wirken, obwohl du so nicht bist. Hast du vielleicht Angst, dass du jemanden richtig lieb gewinnst und sie/ihn dann plötzlich wieder verlierst?

    Dein Bedürfnis, plötzlich weinen zu müssen, kommt meiner Meinung daher, dass dein Unterbewusstsein die Trauer jetzt zulassen kann. Und jetzt können all die nicht geweinten Tränen endlich kommen. Dein Umzug ist auch wieder ein gewisser Verlust, obwohl es eigentlich ja etwas schönes ist. Trotzdem ist es ein Abschied.

    Möglicherweise könnte dir jemand fremdes helfen alles zu verarbeiten. Oft hilft eine fremde Person besser als jemand den man kennt. Weil man bei fremden nicht auf deren Gefühle Rücksicht nehmen muss. Mir selbst hat das geholfen. Ich war ca ein halbes Jahr lang 1 - 2 mal im Monat bei ihr und habe ihr alles erzählt was ich zuhause niemandem gesagt hätte, um niemanden zu verletzen. Manchmal braucht man das einfach.

    Ich bin sicher, dass du deinen Weg gehen wirst. Ob mit Hilfe oder ohne. Ich wünsche dir, dass es dir bald wieder besser geht.


    Liebe mitfühlende Grüße

    Manuela

  • Hallo Manuela,


    vielen lieben Dank für diese schönen Worte und die entsprechende Analyse, die mir wirklich sehr viel weiter bringt. Danke!


    Genau diese Frage stelle ich mir halt immer, wenn ich jmd zu nahe an mich ranlasse, verliere ich ihn doch bestimmt wie jeden Anderen auch...?


    Danke für diese Nachricht.


    Liebe Grüße

    S.L.

  • Neu erstellte Beiträge unterliegen der Moderation und werden erst sichtbar, wenn sie durch einen Moderator geprüft und freigeschaltet wurden.

    Hier handelt es sich um ein Trauer-Austausch-Thema.
    Bitte in diesem Thema KEINE Kerzen verwenden.